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Konflikte: Keiner will sie, alle haben sie und jeder sollte damit umgehen können

 

Das Zusammenleben und –arbeiten von Menschen, von den engsten Beziehungen zu Partnern, Kindern oder Freunden, über jene zu Vorgesetzten und Kollegen bis hin zu jenen von Staaten, Volksgruppen und Religionen, enthält immer Konfliktpotenzial.
Zum einen durch die Rahmenbedingungen und Strukturen in denen wir leben:  wie sind Macht und Kompetenzen verteilt, welche Funktionen oder Rollen haben wir inne, gibt es einen Mangel an Ressourcen oder Informationen, fehlen Vereinbarungen und gerechte Regeln oder gibt es einfach zu unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse?

Andererseits stehen Konflikte immer in Wechselwirkung und Zusammenhang mit unseren persönlichen Werten und Überzeugungen, welche oft zu (Fehl-) Interpretationen, Vorurteilen und selektiver Wahrnehmung führen.
Ein Konflikt ist daher auch immer das, was wir daraus machen:

Ein (Macht-) Kampf? Ein Nachgeben um des lieben Friedens willen? Eine Verweigerung der notwendigen Auseinandersetzung mit Pro blemen? Eine faire Suche nach einer gemeinsamen Lösung?

 

Auch die Wahl der Vorgangsweise bei der Bewältigung eines Konflikts

hängt stark von unseren eigenen Einstellung zu Konflikten ab und welche Strategien in unseren Herkunftsfamilien bewusst oder unbewusst angewendet wurden. Es lohnt sich daher immer, sich diese Annahmen und Strategien bewusst zu machen und zu überprüfen.

 

A) Oft hilft bereits die “Früherkennung” eines Konfliktes, um zeitgerecht gegensteuern zu können:

Typische Konfliktsignale und –zeichen:

  • Unbelehrbarkeit (bis zum Abbruch der Kommunikation)

  • Wiederholung (oft zwanghafte Behauptung)

  • Defensive (uneinsichtig bei Gegenargumenten)

  • Realitätsverzerrung oder -trübung (Fakten werden nicht mehr anerkannt)

  • Ambivalenz im Reden und Verhalten (man will etwas und verhält sich gegenteilig)

  • geistige und emotionale Absenz (es ist, wie wenn eine/r nicht da wäre)

  • musterartiges Verhalten (wirkt wie abgespielt als Marotte, Allüre)

B) Wissen um die Mechanismen der Konflikteskalation:
Weiters müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass ein Konflikt wie von selbst (in Form von Eskalationsmechanismen) einen verhängnisvollen Verlauf nehmen kann, dem wir nur aktiv durch Bewusstseinsanstrengung und Besinnung auf die eigene (gute) Absicht, sowie menschliche und soziale Moralvorstellungen entgegenwirken können.

 

Univ.-Prof. Friedrich Glasl[1], ein österreichischer Konfliktforscher, Mediator und Organisationsberater, entwickelte als Analyse-Instrument das Phasenmodell der Eskalation[2], das diesen “Sog” der Abwärtsbewegung einer Konflikteskalation darstellt:

 

 

 

 

Die einzelnen Phasen sind im Modell noch genauer beschrieben; herausgreifen möchte ich hier das paradoxe Denken, das dem Drohen (Drohstrategien, Konfliktstufe 6) zugrundeliegt: Drohungen bezwecken, den Gegner von Gewalt abzuhalten indem sie Gewaltakte (z.b.: Sanktionen)  in Aussicht stellen, um gerade diese Gewalt nicht anwenden zu brauchen. Das heißt, der Drohende sieht sich zu kleineren Gewaltakten gezwungen, nur um glaubwürdig zu erscheinen. Aus der Sicht des Bedrohten beweist das jedoch die Aggressionsabsicht des Drohenden und provoziert Gegengewalt. Als Gegenabschreckung muss diese stärker ausfallen und mündet so weiter in die Spirale der Gewalt!

Glasl weist weiters den verschiedenen Eskalationsstufen die Strategiemodelle der Moderation (für Stufe 1–3), Prozessbegleitung (Stufe 3-5),  sozio-therapeutische Prozessbegleitung (4-6), Vermittlung/Mediation (5–7) Schiedsverfahren/gerichtliches Verfahren (6-8) und schlussendlich Machteingriff (7-9) zur Deeskalation zu.

In den aktuellen, furchtbaren Entwicklung des Krieges in der Ukraine kann man diese Mechanismen und die dringende Notwendigkeit von sofortigen Deeskalationsmaßnahmen deutlich erkennen.

C) Konflikte deeskalieren und bewältigen:
Auch wenn es “nur” um unsere eigenen Konflikte im persönlichen Umfeld geht, kann uns das Wissen um die negativen Eskalationsschritte aufrütteln, um rechtzeitig deeskalierende Maßnahmen anzuwenden und/oder sich professionelle Hilfe beispielsweise in Form einer Beratung oder Konflikt-Mediation zu holen.

Das Erste was jeder selbst tun kann, ist innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass die Eskalation fast wie von selbst geht, Deeskalation jedoch Energie und  Determination benötigt! Dafür kann jeder zunächst selbst aus der Abwärts-Spirale aussteigen, sich beruhigen, um so weiter eskalierenden, automatisierten Kampf/Fluchtreaktionen, ausgelöst durch unsere Stress-Hormone und dem daraus resultierendem “psychologischem Nebel”, Einhalt zu gebieten.

Ein für diese sofortige Deeskalation sehr bewährtes Werkzeug ist die zeitlich begrenzte Unterbrechung eines “heißen” Konfliktes (Streites) durch eine Auszeit “Time-out”, während dem sich die Konfliktparteien jeweils selbständig zu beruhigen versuchen.

Dabei kann helfen, tief durchzuatmen und die Spannung und den aufgestauten Adrenalin-Pegel durch bewusstes Durchschütteln und Lockern des ganzen Körpers zu lösen. Tiere befreien sich noch ganz natürlich und automatisch von der übermäßig aufgebauten Spannung: nach einem Streit/Kampf beispielsweise zwischen Gänsen oder Hunden kann man beobachten, dass die “Streithähne” sich nach der Auseinandersetzung (un)willkürlich abschütteln bzw. ein Zittern durch ihre Körper geht. Dieses “neurogene Zittern”  macht sich auch die von David Berceli[3] entwickelte Methode, genannt TRE® (Tension and Traume Releasing Exercises)[4] zum Abbau von übermäßiger Spannung durch Stress und Traumatas ebenfalls zunutze.

Auch die hawaiianische Huna Philosophie lehrt, dass die Heilwirkung jeglicher Intervention in direkter Verbindung zum Grad des durch sie bewirkten Stressabbaus steht[5]. Daraus folgt, dass ein effizientes, zeitnahes Reduzieren von Spannungszuständen einerseits zur “Soforthilfe” (Deeskalation eines Konfliktes) und auch zum nachträglichen Spannungsabbau angewendet werden sollte. Hier eine Auswahl hilfreicher Techniken: Atemtechniken wie beispielsweise der hawaiianische HA-Atem[6], Klopftechniken wie Dynamind[7] und EFT (Emotional Freedom Technique), Progressive Muskelentspannung nach Jakobson[8], Yoga, Sport, Auftanken in der Natur uvm.

Das Harvard-Konzept[9] bietet weitere Tipps für den konstruktiven Umgang mit Konflikten:

  Mensch und Problem (Sachebene) getrennt behandeln

  • Sach- und Beziehungsebene trennen

  • Hart in der Sache, weich zur Person (den anderen in seiner Integrität akzeptieren: „Ich bin OK, du bist OK“)

  • Sich in die Lage des anderen zu versetzen, anstatt Vorurteile zu pflegen

  • Gefühle zulassen

  • Kommunikative Techniken nutzen (Feedback, aktives Zuhören, explizite Kommunikation, Verständnisfragen, Interaktionsregeln...)

 

  Interessen statt Positionen formulieren

  • Versuchen hinter der Position (Standpunkt) den Menschen mit seinen Interessen, Sorgen, Bedürfnissen und Motiven zu sehen = erweitert die Wahrnehmung und ermöglicht mehrere Lösungen!

  • Über diese Interessen sprechen
     

  Optionen entwickeln

  • In Möglichkeiten und Varianten denken, Brainstorming erlauben

  • Wahlmöglichkeiten zulassen

  • Vorteile für beide Seiten suchen (Win-Win)

  • Neben den erstbesten Lösungen für beide Parteien die zweit-/drittbeste Lösung und ev. Worst-Case-Szenario durchdenken
     

  Bestehen auf Anwendung neutraler/objektiver Kriterien

  • Wenn es für das Thema möglich ist – objektive Kriterien verwenden- finden-definieren – und danach handeln.

  • Vernünftig argumentieren.

  • Sich keinem Druck beugen sondern nur neutralen Prinzipien/objektiven Kriterien und Argumenten weichen/zustimmen.

F.Glasl bringt es auf den Punkt: „Soziale Konflikte sind fehlgeschlagene Veränderungs- und Entwicklungsbemühungen.
Wenn sich Menschen mutig den Konflikten stellen und sie konstruktiv
bearbeiten, werden dadurch oft erstaunliche Entwicklungsschritte
möglich, zu denen es ohne Konflikte nicht gekommen wäre.”

 

Auch der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser[10] teilt im unten verlinkten, sehenswerten Interview die Erkenntnis, dass wir alle an unseren Konflikten wachsen können.

Unsere Anliegen wertschätzend zu vertreten, beziehungsfreundlicher zu kommunizieren und Konflikte als positive Herausforderungen zu sehen, erleichtert nicht nur unseren Alltag – es verändert unser ganzes Lebensgefühl.

 

[1] https://www.trigon.at/berater/friedrich-glasl/

[2] F.Glasl.: Konfliktmanagement : ein Handbuch für Führung, Beratung und Mediation; 12.Auflage, 2020

[3] https://www.david-berceli.com/

[4] https://www.tre-deutschland.de/

[5] https://www.suncoaching.net/huna  (Masterthese)

[6] https://www.suncoaching.net/angebot (Video: Einfache Atemübung)

[7] Die Dynamind-Technik

[8] Anleitung PMR im Sitzen (Download)

[9] Roger Fisher, William Ury, Bruce M. Patton (Hrsg.): Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik. Campus-Verlag, Frankfurt am Main / New York 1984; 24. Auflage

[10] Daniele Ganser, Interview: Wie finde ich Frieden in mir?

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